Mittwoch, 24. August 2011

Bhutan am Scheideweg (2o11)

Gut wer sich bei Reisen frei von Erwartungen halten kann. Im Falle von Bhutan gelingt das kaum. Enttäuscht von der globalen Zivili-sation und neugierig auf „Buddhas Bodenstation“ erwarten viele  Bhutanreisende nicht nur ein exotisches Land, sondern auch spirituellen Mehrwert. In vielen Fällen inspiriert sie der Traum eines „Shangri-La“, eines mythischen Ortes im Himalaya , wo   Menschen in selbst gewählter Abkehr von einer verkommenen Welt als Bewahrer von Kultur und Wissen leben. James Hilton hat dieses utopische Panorama in seinem schon 1933 erschienenen Roman „Lost Horizon“ verführerisch beschrieben.

Der Sehnsucht nach einem Ausnahmestaat, dem der Anschluß an die Moderne gelingt, ohne seine Seele zu verkaufen und seine Authentizität gegen eine weltweite Einheitskultur einzutauschen, kommt Bhutans geniale Tourismuspolitik entgegen. Um billigen Rucksacktourismus zu vermeiden, muß jeder pro Tag ca. 2oo Euro zahlen, bevor er das teuerste Visum der Welt erhält. Im Jahr werden nicht mehr als  25.ooo Touristen ins Land gelassen; da kann man sich schon privilegiert fühlen, auch wenn die Hotel- und Versorgungsqualität zu wünschen übrig lässt. Es sei denn man wählt den Luxus der wenigen sog.7 Sternehotels für 12oo E die Übernachtung.

Daß der Reisende auf sich selbst hereinfällt, erkennt der kritische Blick vor Ort schnell. Wer darauf nicht mit Enttäuschung, sondern dem Lachen der Selbsterkenntnis reagieren kann, bekommt den Kopf frei für eine interessante Reise in eine Gesellschaft, die den Sprung vom Mittelalter ins 21.Jahrhundert, ohne die Balance zu verlieren, gerade noch im Griff hat.

Bhutan, eingezwängt zwischen China, Nepal, Bangladesh und Indien, das seine Isolation erst 1992 aufgab und sich für Privatreisen öffnete, ist beeindruckend. Sein größtes Kapital ist die unberührte Natur und einzigartige Landschaft. Bis heute sind noch 7o % bewaldet und ca. 25 % als Nationalparks ausgewiesen. Wenn an einem klaren Tag in der Ferne die Kette des schneebedeckten Mount Everest und seiner 85oo Meter hohen Kollegen am Horizont steht, stockt einem vor Schönheit der Atem.

Das Land hat wenig über 7oo.ooo Einwohner und ist kaum grösser als die Schweiz, arm, ohne Rohstoffe. Die Infrastruktur ist entwicklungsbedürftig. Die einzige, über 1ooo Kilometer lange Strasse vom „entwickelten“ Westen in den noch ursprünglichen Osten, über die der gesamte Verkehr des Landes geht, gleicht einem einspurigen Feldweg mit Schlaglöchern, Steinschlag und Erdrutschen und ist oft tagelang geschlossen.

1972 war das Land eines der ärmsten der Welt. Das hat sich geändert. Die Analphabetenquote ist drastisch zurück gegangen, die einst weltweit höchste Säuglichssterblichkeit auch. Die Lebenserwartung ist seit 1982 von 43  auf 66 Jahre gestiegen. Es gibt eine kostenlose gesundheitliche Versorge, Internet, Telefon und Fernsehen. Viele Menschen haben ein Handy; im idyllisch gelegenen Kloster Chimi telefoniert der oberste Mönch während einer Zeremonie zu Ehren seiner Gäste laut und lang. Die Moderne scheint Buddha nicht zu stören.

Der visionäre vierte König der seit 19o7 regierenden Dynastie, Jigme Singye Wangchuck (1974-2004) investierte klug in Strassenbau, Elektrifizierung und Wasserkraft, die gewinnbringend nach Indien exportiert wird, von dem Bhutan politisch und ökonomisch abhängig ist. Die Wirtschaft boomt, seit zwei Jahren gibt es eine erste Universität. Noch ist Bhutan ein Ökomusterland, aber das Müllproblem wächst. Nur im Vergleich zu Indien und Nepal fällt es noch nicht so ins Gewicht. Schon fehlt es dem Land an billigen Arbeitskräften;  Strassen werden von Indern gebaut, die unter katastrophalen Umständen leben. Bauholz wird importiert, aber angesichts vom Bau weiterer Flughäfen – bisher gibt es nur einen- und neuer Hotels für zukünftig weit grössere Touristen-mengen und Wohnungsbau im grossen Stil wird man ohne die Abholzung der eigenen Wälder nicht weit kommen.

Enthusiasten wie den Schweizer Entwicklungsexperten Fritz Maurer, der in den 7oigern kam, sich in das Land verliebte und blieb, hat Bhutan leider zu wenige. Er baute eine Ofenfabrik, eine Käserei, eine Werkstatt für Landmaschinen, Gästehäuser, eine Weißbierbrauerei und entwickelte ein Kreuzungsprogramm für Kühe. Der König adelte ihn für diese alltagstauglichen Verdienste.
Die buddhistische Religion, die das Land als Staatsreligion eint, ist allgegenwärtig. Überall Mönche, Gebetsfahnen und teils wassergetriebene Gebetsmühlen, die, bewegt, kosmischen Segen stetig fliessen lassen.

Der tantrische Buddhismus, den Guru Rinpoche, der allgegenwärtige Staatsgründer, im 8.Jahrhundert aus Tibet mitbrachte, ist keine entrückte Religion, sondern lebt von verwirrenden Dämonen und Gottheiten. Nur aus der oft abgebildeten körperlichen Vereinigung der Kraft des Mannes und der Weisheit der Frau ist Erleuchtung zu gewinnen – eine fortschrittliche Erkenntnis. Das führt zu phallusgeschmückten Häusern, deren Besitzern der heilige Narr, Lama Drukpa Kunley (15.Jahrh.), dem sein erigiertes Glied Hauptvergnügen war, besonders nahe steht. So ein Phallus kann auch zwischen  heiligen Gegenständen und kitschigen Opfergaben auf dem Altar liegen und zum Segnen benutzt werden.

Der Mythos in Bhutan lebt in der Frömmigkeit der Bewohner und in bunten Klosterfesten. Das allerdings, was ein Besucher an konkreter Kultur besichtigen kann, ist spärlich. Bogenschiessen gibt es in jedem Dorf. Die vielfältigen Klöster  gleichen einander; wer eines kennt, kennt fast alle. Ihre Bauten und kostbaren Malereien werden ständig restauriert und übermalt. Die Erhaltung eines Originalzustandes, wie ihn Europäer erwarten, verträgt sich nicht mit buddhistischen Gesetz, wonach alles ständige Veränderung ist. Nur die Dzongs, Bhutans einzige originale Architekturschöpfung, monumentale Verteidigungsbauten in der labyrinthischen Kombination aus Kloster und Verwaltungszentrum, sind einzigartig. Sie liegen spektakulär, aber auch sie sind sich zum Verwechseln ähnlich und immer auf alt gemacht. Lediglich im Wachturm von Trongsa, einem Teil des Dzong, haben österreichische Architekten 2oo8 mit einfachsten Mitteln und in schönen Raumkompositionen einen der wenigen modernen Innenausbauten Bhutans errichtet. Moderner Architektur steht man hier noch immer misstrauisch gegenüber. Dabei ist sie überall anzutreffen. Denn schöne alte Häuser aus Lehm und bemaltem Holz , die  Landschaft und Städte bisher schmückten, werden zunehmend abgerissen und durch öde Betonbauten ersetzt.

Wer von Bhutan spricht, denkt weniger an ungelöste politische Probleme  wie die der „bhutanischen“ Nepalesen als an „Bruttosozialglück“. Die unglückliche Formulierung prägte der vierte König vor fast fünfzehn Jahren auf einer Pressekonferenz, als er nach den Zielen für die Zukunft seines Landes gefragt wurde. Zunächst vergessen, wird diese Idee seit ungefähr fünf Jahren als magische Realität des Landes vor allem von Journalisten bemüht. Sir Michael Rutland, der englische Berater des damaligen Königs, erläutert, dass dieser ausdrücken wollte, dass „es ihm für sein Volk weniger um materiellen Reichtum  als um Harmonie für die Zukunft“ geht. Was angesichts der Jahrhunderte langen Bürgerkriege im Land, dem Schicksal Tibets und der streitlustigen Nachbarn China und Indien verständlich ist.

Der erstaunliche König definierte auch die vier Säulen des „Bruttosozialglücks“: nachhaltige Entwicklung, Umweltschutz, Bewahrung der Kultur und eine verantwortungsbewusste Regierungsarbeit. Diese können von jedem bei einer  Sprechstunde im Dzong der Hauptstadt Timpu eingeklagt werden. Neben diesen Plänen verfolgte er zielstrebig seit 1998 in mehreren Schritten die Einführung der Demokratie und „übte“ mit seinen Ministern und Untertanen gegen deren Protest 2oo7 eine Probewahl. Schließlich trat er zurück und ernannte seinen Sohn Jigme Khesar Namgy, der in Oxford studiert hat, zu seinem Nachfolger in einer konstitutionellen Monarchie. Bhutan ist damit die jüngste – und von der Entwicklung her  - sicher erstaunlichste Demokratie der Welt.

Anmerkungen zum Bauherrn (2oo9)

Um es vorwegzunehmen: den klassischen Bauherrn, der als Gruppe – wie die Bürger beim Bau des Marktplatzes von Siena – oder als Einzelner – wie Ludwig XIV in Versailles – Inkunabeln der Baugeschichte initiierte und zu verantworten hatte, gibt es nicht mehr. Oder mindestens ist er eine Rarität geworden. Das liegt, um es salopp mit den Worten einiger Architekturkritiker zu sagen, daran, dass der Bauherr kein „Herr“ mehr im traditionellen Sinn eines vornehmen und gebildeten Menschen ist, aber auch daran, dass bauherrliche Visionen rar geworden sind. Wer heute Architektur in Auftrag gibt, der baut selten Denk-Male, die nicht nur für den Augenblick Bestand haben, sondern noch in 2oo Jahren wichtig sein werden.

Der klassische Bauherr hatte meist sehr konkrete Ideale und Ideen, die sein Architekt dann in die „richtige Form „brachte. Der heutige Bauherr denkt wesentlich funktions- und kostenbewusster, und entsprechend diesseitiger ist die gestalterische Umsetzung durch den Architekten. Daß bei einem schnöden Bauauftrag wie der Hongkong & Shanghai Bank, Norman Foster möge für sie „das teuerste Gebäude der Welt“ errichten, dann auch noch wegweisende Bau- kunst herauskam, ist wohl eher die Ausnahme.

Der klassische Bauherr war meist eine Einzelperson, die alles bestimmte: Inhalte, Form, Baukosten und Bauzeit. An ihm hatte der Architekt ein Gegenüber, mit dem er um die richtige Gestaltung ringen konnte. Heute bestimmen anonyme Gremien das Bauen, nicht selten ohne konkrete Gesichter und Namen. Und diese wechseln schnell, wobei Informationen verloren gehen und Verantwortlichkeiten sich erst gar nicht etablieren können. In dieser Situation hat der Architekt keinen Ansprechpartner, eine Situation, die sich in vielen Bauten negativ widerspiegelt. Daß Günter Behnisch den schönen Plenarsaal in Bonn nach zwanzigjähriger Diskussion als das herausragende Stück Architektur fertig stellte, das es ist, hatte nichts mit der besonderen Qualität des Bauherrn Bundestag zu tun. Dieser Bauherr, sprich die Bundestags-abgeordneten, hatte keinerlei Ideen, sondern nur Quadratmeter-wünsche. Der Architekt allein war derjenige, der Vorstellungen vom Bauen in der Demokratie entwickelt hatte und diese kongenial in gebaute Gestalt umsetzte.

Soll ein Bauherr als Konsequenz daraus dem Architekten nur noch den inhaltlichen und finanziellen Rahmen vorgeben und ihn ansonsten machen lassen, was er will? Vielen Architekten wäre genau das recht, fühlen sie sich doch häufig genug nicht verstanden in dem, was ihnen wichtig ist und was sie für richtig halten. Doch dies wäre eine völlig falsche Entscheidung, die dem Bauen eher schaden als nützen würde. Denn Architektur ist ein dialogischer Prozess, ein Diskurs zwischen Gewünschtem und Möglichen, ein ständiges Gespräch, das auf Änderungen immer wieder neu antwortet. Teil dieses Dialoges ist die gegenseitige Kontrolle von Bauherr und Architekt, die im Interesse der Qualität der Architektur immanent notwendig ist. Denn bis heute gilt, was Walter Gropius einmal formulierte, als er sagte: „ Gestalten heißt in Fesseln tanzen.“ Völlige Freiheit in seinem Tun hiesse für den Architekten, allein gelassen zu werden.

Im Grunde gilt nach wie vor, dass der beste Bauherr – privat oder öffentlich – derjenige ist, der genau weiß, was er will, der sein Wollen durchdacht hat und es begründen kann, der mutig genug ist, dem Architekten nicht in seine Kompetenz hineinzureden, ihm aber auch nicht jeden gestalterischen Einfall abzunehmen, den er für nicht richtig hält, der praxisorientiert denkt, sich aber auch begeistern lässt, der akzeptiert, dass das, was er für sich baut, auch ein öffentlicher Akt ist mit ästhetischen Konsequenzen für die Gesellschaft.

Ein selbstsicherer Bauherr ist der beste Partner eines Architekten. Er orientiert sich bei seiner Suche nach dem geeigneten Baumeister weniger an den grossen Namen von Stars als an vorbildlichen Bauten. Zwar verkauft sich die gebaute Sensation in Zeiten einer Reizüberflutung wie heute besser als ein charaktervoller Bau von eigentümlicher Gestalt in des Wortes wahrer Bedeutung Aber eine Stadt baut man bekanntlich nicht mit exzentrischer Architektur, sondern mit Bauten von einer grossen Qualität des Normalen und Alltäglichen.

Weitere Merkmale qualitätvollen Bauens sind Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und eine gute Ausführung. Alle drei sind sollten ebenso zu den Forderungen eines Bauherrn an seinen Architekten zählen wie ein behutsamer Umgang mit Materialien, die Einbeziehung lokaler Ressourcen und eine Absage an Architektur als Wegwerfprodukt. Ein Bauherr hat ein Anrecht auf alles dies, denn es ist sein Geld, das verbaut wird. Wenn die Verantwortung des Architekten als Treuhänder des Bauherrn keine leere Floskel ist, dann sind Sorgfältigkeit, Verlässlichkeit und Gewissenhaftigkeit unerlässliche Tugenden des Architekten, auf die ein Bauherr ein Anrecht hat.

À propos Wettbewerbe. Auf gut ausgearbeitete Wettbewerbe haben Architekten wiederum einen Anspruch. Denn sie erbringen mit ihrem Wettbewerbsbeitrag eine kostenlose Leistung für die Gesellschaft, die diese nie wirklich gewürdigt hat. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der jeder gegen jeden steht. Konkurrenz belebt sicher das Geschäft, wenn damit ein Vergleich von Ideen gemeint ist und nicht nur ein Preiskampf. Ein Wettbewerb unter Architekten um die beste Architektur war immer das optimale Instrument, eine gute Lösung für eine Bauaufgabe zu finden. Bauherren, die sich auf Wettbewerbe eingelassen haben,  waren mit dem Ergebnis meist gut beraten, vorausgesetzt, das Programm stimmte und die Jury auch. Ein Wettbewerb klärt alle mit einem Bau verbundenen Fragen und liefert dem Bauherrn formale Alternativen. Doch leider kommt das Wettbewerbswesen aus unterschiedlichsten Gründen allmählich unter die Räder. Die Bauherren selbst, vor allem die öffentlichen, die bekanntlich eine Vorbildfunktion haben, sollten in ihrem eigenen Interesse alles gegen den Verfall dieses Instrumentes tun, das ihnen auf lange Sicht viel Geld sparen hilft und sie keineswegs nur kostet.

Sri Lanka- ein Paradies mit ungewisser Zukunft (2o11)

Geoffrey Bawa – ein begnadeter Architekt

Als Geoffrey Bawa am 27. Mai 2003 im Alter von 84 Jahren starb und in seinem Garten Lunuganga bestattet wurde, widmeten ihm englische Zeitungen ganzseitige Nachrufe. In Deutschland erschien nicht der kleinste Artikel über den sri-lankischen Architekten, der ein Kenner der europäischen Architektur war, der über den Barock-Architekten Balthasar Neumann promoviert und die Gärten Italiens geliebt hatte. Gleichzeitig war Bawa in der magischen Realität des alten singhalesischen Bauens zu Hause, die sein ehemaliger Landsmann, der Dichter Michael Ondaatje, poetisch so beschrieben hat: „Baue niemals drei Türen in gerader Linie, ein Teufel könnte sie einrennen, tief in dein Haus, tief in dein Leben.“

Vielleicht kann man angesichts der Architektur Bawas in Sri Lanka wirklich von magischem Realismus sprechen. Keiner bleibt davon unberührt, weder Besucher noch Kollegen. Sein berühmter malaysischer Kollege Ken Yeang fasste die Faszination Bawas einmal so zusammen: „Für viele unter uns asiatischen Architekten ist er der erste Held und Guru.“ Während man Bawa von Japan bis Australien kennt und verehrt, ist er in Europa so gut wie unbekannt geblieben, trotz einer Ausstellung 2004 im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main und trotz der Tatsache, dass er 2002 als erster Nichtmuslim den höchstdotierten Architekturpreis der Welt, den Aga Khan Award, für seine Bauten erhielt. Außerhalb Asiens ist der Vater der modernen Architektur Sri Lankas unbekannt – leider auch die Architektur des Landes insgesamt. Denn diese Architektur will gesucht und gefunden werden und ist nicht für alle Augen direkt sichtbar.


Der Tourismus kehrt nur langsam zurück

Sri Lanka ist ein gefährdetes Paradies, manche geben es längst verloren. Wer es liebt, hängt an ihm mit Verzweiflung. Korruption und Vetternwirtschaft sind an der Tagesordnung, Armut und soziale Chancenlosigkeit verbreitet. Der von 1983 an tobende Bürgerkrieg, der von der LTTE, der Liberation Tigers of Tamil Eelam, geführt wurde und einen separaten Tamilenstaat im Norden der Insel zum Ziel hatte, wurde vom Präsidenten Mahinda Rajapakse Mitte 2009 gewaltsam beendet. Der Krieg hat das Land tief gespalten und unzählige Opfer gekostet. Die Insel ist erschöpft, aber die Hoffnung auf einen Neuanfang groß.

Ein Entwicklungsmotor könnte der Tourismus sein. Er ist Sri Lankas wichtigste Einnahmequelle neben Tee, Edelsteinen und Gewürzen. Aber während 2004 noch über 500.000 Besucher ins Land kamen, waren es 2007 nur noch 30.000. Nach dem Tsunami Ende 2004 blieben selbst die Ayurveda-Enthusiasten weg, die sonst, immun gegenüber Bomben und Attentaten, der Insel die Treue gehalten hatten. Die gesamte Tourismusbranche wurde arbeitslos, Investitionen blieben aus und selbst Luxushotels standen leer und wurden schäbig.

Doch der Investitionsstau bleibt überall sichtbar. Dies zu ändern wäre wünschenswert, aber nur durch die vereinten Kräfte von Regierung und Tourismusindustrie möglich. Präsident Rajapaksa muss beweisen, dass er nicht nur einen blutigen Frieden schließen, sondern der Insel auch einen wirtschaftlichen Neuanfang bescheren kann.

Sri Lanka, mit seinem Beisammen aus Ozean, weißen Stränden, Dschungel, Lagunen, Teeplantagen und hohen Bergen ist eine der schönsten Inseln weltweit. Viele Strandurlauber mögen zwar deren Hochkultur mit den alten Hauptstädten Anaradhapura und Polunnawara sowie den großen Buddha-Heiligtümern nicht besuchen, aber mindestens haben sie davon gehört. Doch hingegen gänzlich unbekannt ist, dass Sri Lanka das faszinierendste Kleinod moderner Architektur in Südasien ist, das sogar seinen großen Nachbarn Indien in den Schatten stellt.


Der Garten Lunuganga – ein gesegneter Ort

David Robson, Autor zahlreicher Bücher über die zeitgenössische Architektur Sri Lankas, spricht von „einem Füllhorn aufregender Bauten“ der letzten 20 Jahre. Robson hat bereits 2004 eine zweibändige Biografie über Bawa verfasst. 2007 hat er ein umfangreiches und vorzüglich gemachtes Buch geschrieben, in dem er erneut den Versuch unternahm, für Bawa und seine talentierten Nachfolger in Sri Lanka, Singapur, Malaysia und Bali mit guten Texten und traumhaften Fotos zu werben (Beyond Bawa. Modern Masterworks of Monsoon Asia. Thames & Hudson, 2007, 39.95 engl. Pfund).

Geoffrey Bawas berühmteste Architektur ist Lunuganga, ein magischer Name und ein magischer Ort, heute einer der schönsten Gärten Südasiens. 1948 hatte er die aufgelassene Gummiplantage am Rande einer Lagune erworben und nach den Ideen des Architekten Palladio in einen verzauberten Garten verwandelt, eine Mischung aus englischem Landschaftspark, italienischer Renaissancelandschaft und tropischem Dschungel. Über 40 Jahre hat Bawa Hügel versetzt, Terrassen gebaggert, Wälder gepflanzt, Sichtachsen angelegt, Aussichtspunkte gebaut, Kunst aufgestellt – das Ergebnis ist kein Kunstwerk der Natur, sondern eine kultivierte Wildnis, das Werk eines visionären Geistes. Ein „gesegneter Ort“, wie ein Besucher einmal sagte, am Rande der Zeit und der Natur, die nur darauf wartet, ihn wieder zu überwuchern.

In Lunuganga ist nichts Zufall, weder das Spiel von Licht und Schatten noch die Kombination aus vielfältigen Grüntönen, weder die Spiegelungen in der Lagune, noch der Wechsel schachbrett-förmiger Reisfelder mit sanft geschwungenen Hügeln. Für den Architekten war sein Garten zeitlebens Zufluchts- und Rückzugsort aus der Welt, wohin nur wenige Freunde Zutritt hatten.

Lunuganga kann heute besucht werden, ist aber noch immer ein intimer ruhiger Ort. Öffentlich und frequentiert dagegen sind Bawas Hotels, die besten in Sri Lanka und Kultorte für diejenigen, die den Architekten schätzen. Die meisten dieser Hotels liegen am Meer und sind spektakuläre Inszenierungen aus offenen Räumen, Licht und Wasser. So das Lighthouse Hotel, eine minimalistische Architektur vor der dramatischen Kulisse des Indischen Ozeans.

Geoffrey Bawa kam erst spät zur Architektur. Der Spross einer europäisch-muslimisch-singhalesischen Familie ging 1938 nach Cambridge, um Literatur und Jura zu studieren. Danach reiste er einige Jahre durch Europa, lernte Italien lieben und kaufte dann Lunuganga, um seinen persönlichen Traum vom Paradies zu verwirklichen. Doch sein Garten lehrte ihn, dass er vom Bauen nichts verstand. Deshalb schrieb sich der Mitdreißiger in London ein, studierte Architektur und machte 1957 sein Diplom. Danach eröffnete er sein Atelier in Colombo.

Zu diesem Zeitpunkt begann sich Sri Lanka aus dem englischen Empire zu lösen. Bawa wollte an der Identitätssuche seiner Insel mitarbeiten. Mehr als 200 Häuser beweisen, was und wie gute Architektur dazu beitragen kann. Dazu gehören neben Hotels vor allem private Wohnhäuser, ebenso Schulen, Universitäten und das Parlament von Sri Lanka.


Ein Nichts aus großem Dach

Bawa verband radikale Modernität und lokale Tradition. Er ließ sich nie einer bestimmten Architekturrichtung zuordnen. Nur der genius loci, die Gegebenheiten eines Ortes, beeinflussten Bawas Architektur. Doch wie jeder gute Architekt fügte er sich nicht nur dem Ort, sondern entwickelte ihn weiter. Mit dem mexikanischen Architekturgenie Luis Barragan teilt er die Fähigkeit zu dramatischen Architekturkompositionen. Doch wo dieser den extremen Kontrast seiner Bauten zur Landschaft sucht, geht Bawa versöhnlicher auf sie ein. Im sensiblen Umgang mit Materialien und im Reichtum einfacher Details erinnert er an den Italiener Carlo Scarpa. Mit Mies van der Rohe teilt er bei einigen seiner schönsten Häuser den minimalistischen Ansatz. Michael Ondaatje nannte Bawas Haus in Mirissa, ein Nichts aus großem Dach, freiem Grundriss und transparenten Wänden; ein „offenes Netz“, das wie in den Kronen der Bäume zu schweben scheint.

Das Klima Sri Lankas ist heiß und feucht. Hier klimagerecht zu bauen, ist ein Muss, das wenig kosten darf. Innen und Außen sind bei diesem Klima kein Gegensatz. Wo es abgetrennte Räume brauchte, baute Bawa sie ohne technischen Aufwand und natürlich belüftet. Er war ein Meister in der Kunst, das Haus um einen Garten herum zu bauen und das Dach wie einen großen Schirm darüber. In seinem Polontalawa Haus entwickelt sich die freie Wohnlandschaft wie in einem offenen Zelt um große Felsbrocken herum.

Nicht nur über Bawa ist außerhalb Asiens wenig bekannt, ebenso ergeht es seinen talentierten Nachfolgern C. Anjalendran, Channa Daswatte, Milroy Perera oder der Architektin Amila de Mel, um nur einige zu nennen. Bawa und seine Nachfolger sind Meister in der Kunst, Architektur und Natur zu einem dramatischen Miteinander zu fügen. Das faszinierendste Beispiel hierfür ist das Boulder Garden Hotel von Lalyn Collure in Kalawana, das sich unter und zwischen riesigen überhängenden Felsen entwickelt und an die Luxusherberge eines Höhlenmenschen erinnert. Seine Nachfolger sind mehr als bloße Schüler Bawas. Sie sind das Resultat guter einheimischer Universitäten, eines selbstbewussten Architektenverbandes und der lebendigen, über 2000 Jahre alten Bautradition des Landes. Ihre ebenso pragmatische wie phantasievolle Architekturhaltung jenseits aller Moden verdankt sich auch wohlbetuchten Bauherren, die den Mut zum Bauen in heimischer Tradition, aber im modernen Gewand haben und keiner erfundenen nationalistischen Architekturrichtung anhängen. Der Ruhm dieser jungen Architekten verbreitet sich allmählich nach Indien, Indonesien und Singapur und ist ein interessanter Architekturexport, der Süd- und Südostasien zu prägen beginnt.

C. Anjalendran ist wohl der begabteste Nachfolger Bawas. Er ist ein Tamile, dessen Familie aus Jaffna im Norden stammt. Bevor er zur Architektur kam, lernte er Tanz und studierte Mathematik. Anjalendran ist ein kultivierter Mann und betreibt sein Bauen ohne Büro, ohne Sekretärin, ohne Handy, ohne schriftliche Verträge. Nicht nur in dieser Hinsicht ist er eine Ausnahmeerscheinung. Er ist nicht der arrogante, alles wissende Architekt wie Bawa, sondern einfühlsam in seinen Bauten und sensibel im Umgang mit Kollegen, wie mit dem exzentrischen alten Mann der Kunst Sri Lankas, Laki Senanayake, der Batikkünstlerin Ena de Silva oder der Farben- und Stoffdesignerin Barbara Sansoni, die mit ihrem Sohn, dem Architekturfotografen Dominik Sansoni, einen der schönsten Läden Colombos betreibt – das Barefoot.

Anjalendrans Architektur – das Haus unter dem Banyan Baum in Colombo (2002) oder sein transparentes Wohnhaus auf Mount Cinnamon in Mirissa (2008) - , um nur zwei von über hundert Bauten zu nennen, ist gleichzeitig zurückhaltend und spektakulär. Sein SOS-Kinderdorf bei Galle (1997) ist eine beispielhaft fröhliche und kindgerechte Anlage, eine humane Architektur in einem Land, das sonst für seine Kinder nicht allzu viel tut.